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Kunsttherapie

Et hät noch emmer joot jejange
Hildegard, das Rheinische Grundgesetz und wie Mustererkennung wirklich funktioniert
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(Lies die Geschichte – Dein Unterbewußtsein wird die „Methode“ wie man Verbindungen knüpfen kann wiedererkennen und für Dich anwenden, so daß sich Deine eigene Geschichte ordnen wird.)
Hildegard hatte ja einiges mitgemacht im 2. Weltkrieg:
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Erst sicherheitshalber so getan als sei sie „reinrassig“ obwohl sie jüdische Wurzeln hat; stets mit der Angst gelebt, daß man sie entdeckt; trotzig und todesmutig mit Nylonstrümpfen, feschen Hüten, Puffärmelkleidchen und hohen Schuhchen sich der Nazi—Einheits-Uniform für Frauen verweigert (Halstüchlein, weiße Bluse, blauer Rock, flaches Schuhwerk – „praktische Kleidung“ Pöh!); durch einen Trick hatte sie sogar die Papiere bekommen um zu heiraten, ein Kind bekommen, ein süßes Mädchen und dann, als sie schon dachte, alles ist vorbei und sie befände sich 1945 im Viehwagon Richtung Arbeitslager in Rußland, weil man sie, die ja offiziell deutsch war, mit vielen anderen aus den polnischen Gebieten umsiedelte – da hatte sie Glück!
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Durch ein Astloch in der Wagon-Wand des Viehwagens in welchem die Menschen dicht gedrängt standen, konnte ein Herr, der an der Wand des Wagongs stand manchmal Namensschilder der Stationen lesen: Deutsche Namen. Es ging nicht nach Rußland, sondern nach Westen!
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„Wär‘ ja wohl auch ein absoluter Hohn gewesen, nach allem, was sie durchgestanden hatte, mit jüdischen Familienwurzeln, für eine Deutsche gehalten, in einem russischen Arbeitslager dahinsiechen zu müssen. Also: Glück gehabt!“ – dachte Hildegard.
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Im Westen – genauer gesagt im Sauerland, war das Willkommen dann aber nicht so herzlich wie man sich das erhofft hatte.
Die Wagon-Tür wurde aufgerissen – ein Soldat schrie „Alles raus! Aussteigen“ und Hildegard stand mit ihrem Baby, das nicht mal ein Jahr alt war, im sehr kalten Winter 1945 knöcheltief im Schnee und konnte kaum laufen (das ist eine Geschichte für ein anderes mal).
Irgendwie kamen die Menschen dann erst einmal in ein Flüchtlingslager, das ziehmlich schlecht beheizt war – und wurden dann peut a peut aufgenommen von einheimischen Familien.
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Weil alle viel mitgemacht hatten und erschöpft waren vom Krieg – auch die im Sauerland, waren alle sehr ängstlich.
Ängstlichkeit kann Menschen hartherzig und aggressiv machen.
Wenn Kartoffelernte war, ging Hildegard zum „stoppeln“ auf die Felder – das heißt nachdem die Bauern, denen die Felder gehörten, ihre Kartoffeln geerntet hatten, ging sie gemeinsam mit anderen Frauen auf das Feld, um liegengebliebene Reste, kleine Kartoffeln aufzuheben.
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Weil auch die Bauern ängstlich waren versuchten sie das zu verhindern.
Schilder wurden aufgestellt, die das Aufsammeln von liegen gebliebenen Kartoffeln verbieten sollten.
In manchen Gegenden Deutschlands schossen die Bauern sogar auf Menschen, die es wagten liegen gebliebene Reste aufzusammeln.
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– Die Hemmschwelle für Gewalt war durch die Kriegsjahre deutlich herab gesetzt. Das war insgesamt so, überall in Deutschland – wer jahrelang in einer Gesellschaft gelebt hat, die Krieg führt verhärtet emotional.
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Hildegard wußte das. Sie selber bemerkte ja an sich auch, wie sie „härter“ war als noch in den 30ern und sie bemerkte, wie sie auf eigenartige Weise, über manche Erlebnisse einfach nicht sprechen konnte. Das war unheimlich.
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Ein Umfeld, in dem man sich nicht willkommen fühlt, ist nicht gerade optimal für die Heilung emotionaler Verletzungen.
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Hildegard wuchs zwar irgendwie in die Dorfgemeinschaft hinein, aber nur sehr zögerlich – verständlich, nachdem was sie alles erlebt hatte, war sie scheu und mißtrauisch – und dann hatte sie, nachdem sie die 50er und 60er hindurch ihr Mädchen groß gezogen hatte und sich stets, täglich eigentlich, als nicht dazugehörig empfand nochmals Glück. Erneut Glück!
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Ihre Tochter hatte inzwischen geheiratet, war ins Rheinland gezogen und hatte eine Tochter bekommen. Hildegard war hingefahren, um in den ersten Wochen und Monaten zu unterstützen und lernte die Rheinländer kennen.
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Noch so ein ulkiger Dialekt. :)
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Hildegard selber sprach Hochdeutsch und ein bißchen schlesischen Dialekt.
Der Sauerländer-Sprech war echt eine Herausforderung. Ihre Tochter hatte das viel besser gelernt – bei Hildegard hakte es, weil jedesmal wenn sie ein Wort genau so aussprach wie die Sauerländer (sie konnte das schon) dann war das aber so, als würde sie sich „innerlich“ mit den Menschen, die ihr so ein eisiges Willkommen bereitet hatten verbrüdern.
Und auch wenn wir alle in demselben Universum leben:
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Universum
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uni = eins
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versum= lat. eine Zeile eines Verses,
ebenso: metaphorisch: wenden und weitere Ackerfurchen ziehen
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Auch wenn wir alle in demselben Universum leben und unsere Lebensgeschichten fortschreiben, Zeile für Zeile, so, wie Bauern ihren Acker bestellen, Furche für Furche – gibt es manchmal Situationen da ist man nicht nur ein paar Zeilen bzw. Ackerfurchen sondern ganze Buchseiten, manchmal sogar Bücher-Berge und Landschaften weit voneinander entfernt – und dann ist dieser Abstand besser. Für alle Beteiligten.
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Und während sie das so vor sich hin dachte, horchte Hildegard plötzlich auf und hörte folgenden Dialog:
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Erster Mann: „Wie isset?“
Zweiter Mann: „Och, joot!“
Erster Mann:“Un‘ de Frau?“
Zweiter Mann:“Joot!“
Erster Mann:“Un‘ de Pänz?“
Zweiter Mann:“Auch joot!“
Erster Mann:"Joot! Ja dann. Tschö!"
Zweiter Mann:"Tschö!"
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Hildegard schob gerade ihre Enkelin im Kinderwagen vor sich her durch die Kleinstadt im Rheinland, in der ihre Tochter nun wohnte und hatte aufgehorcht, als sie im Vorbeigehen die Begrüßungsfloskeln zweier älterer Männer mithören konnte, von denen der eine ihr angenehm berührt hinterher schaute. So eine Hübsche!
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Sie war willkommen. Niemand schrie. Die Menschen hier redeten ruhig. Man fand sie mit ihren schwarzen Haaren
sogar attraktiv!
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Und das allerbeste: „Jude“ – also „Joot!“ hatte hier die Bedeutung „gut“!
Endlich eine Gesellschaft wo sie willkommen war!!
So in etwa hat Hildegards Unbewußtes reagiert auf den rheinischen Dialekt.
Bewußt war ihr das nicht – daß sie diese Verbindung (Assoziation) gezogen hatte, ist ihr erst Jahrzehnte später aufgefallen.
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Und so kam es, daß Hildegard alsbald ins Rheinland zog!
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In die Nähe des Siebengebirges, welches aus 7 Bergen besteht und sie an Siebenbürgen erinnerte, aus dem ein anderer Zweig Ihrer Familie stammt.
Diese Geschichte verdeutlicht wie unser Unterbewußtsein arbeitet.
Nicht logisch – sondern assoziativ.
Hier in dem Fall über Wortähnlichkeiten im Klang.
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Warum das so ist?
Weil Menschen (die meisten) es mögen wenn zu einem gewissen Grad Harmonie gegeben ist.
Menschen mögen es, „wenn die Chemie stimmt“, wenn wir „auf gleicher Wellenlänge“ sind, wenn wir Teil einer Gemeinschaft sei können.
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Ist das nicht gegeben und scheint die Situation „ausweglos“ – behilft sich unser Unterbewußtes auf „kreative“ Art und Weise und erschafft, sobald sich Gelegenheit bietet eine heilsame Metapher, die in dem Moment gut für uns funktioniert.
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Der Klarheit halber:
Das Wort „joot!“ im rheinischen Dialekt heißt „gut“. Die assoziative Verknüpfung zu ihrer Familiengeschichte hat Hildegards Unterbewußtsein geleistet, sie besteht "objektiv" betrachtet nicht – ebenso wie das Siebegebirge in dem Sinne nicht unbedingt etwas mit Siebenbürgen zu tun hat.
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Aus Hildegards idiosynkratischer Familiengeschichte heraus, aus ihrer Sicht ergeben diese „psychologischen“ Schlüsse aber eben doch Sinn.
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Statistisch berechnen läßt sich so etwas schlecht.
Von daher ist die Anwendbarkeit rein logisch, statistisch-mathematischer Verfahren auf unbewußte Vorgänge die im Rahmen einer Trauma-Therapie ablaufen begrenzt.
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Statistisch berechenbar ist hingegen, daß Kunstherapie, Arbeit mit Symbolen, sehr wirksam ist, wenn es darum geht besonders intensive Gefühle der (Überlebens)angst zu verabeiten und transformieren. Daß Kunsttherapie, kreative Arbeit mit Symbolen als solche, als Methode an sich funktioniert ist inzwischen empirisch belegt.
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Besonders intensive Gefühle verarbeiten z. B. Klienten, welche Kriegstraumata aufarbeiten und Patienten, welche sich in Palliativversorgung befinden.
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Einen Überblick zum Forschungsstand aus 2014 kann man z. B. beim Thieme Verlag finden und sich sogar als .pdf herunterladen:
Kunsttherapie in der Palliativversorgung. Ein narratives Review. Teil I: Forschungsstand
Das Rheinische Grundgesetzt dessen 3. Prämisse ist:
„Et hätt noch emmer joot jejange“
was so viel bedeutet wie:
„Was gestern gut gegangen ist, wird auch morgen funktionieren."
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Situationsabhängig auch:
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"Wir wissen, es ist Murks, aber es wird schon gut gehen.“
kann man hier einsehen:
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Ach ja, und weil Hildegard sich doch so für Symbolik der Alchemie interessiert hat (Ihre Lieblingsoper war die Zauberflöte!): Auf dem Foto sieht man eine kleine Kapelle in Röhndorf, Rheinland.
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Zu dieser Kapelle gibt es eine merkwürdige Geschichte:
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Und zwar hat es mal einen Volkanausbruch gegeben, der das ganze Dorf in Schutt und Asche gelegt hat – die heiße Lava wälzte sich langsam die Strasse entlang und verbrannte alles. Vor diesem kleinen Kapellchen teilte sich der Lavastrom und ließ es heil. Ebenso wie sich heute, erinnernd an die alte Geschichte, die Straße vor dem Kapellchen teilt und auf beiden Seiten, wie der Lavastrom damals, um es "herumfließt".
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Es könnte ja vielleicht sein, daß sich Hildegards Unterbewußtsein auch diese Geschichte als heilende Metapher „geschnappt“ hat.
So wie das Kapellchen den Vulkanausbruch überstanden hat, so, wie heutzutage immer noch der Straßenverkehr um das Kapellchen herum brandet, ohne daß aber das Kapellchen Schaden nimmt, - - durch ein kleines Wunder genau so hat sie, Hildegard ein schlimmes Kapitel heil überstanden, ist ihr "inneres Kapellchen" heil und heilsam geblieben. Ihr psychischer KL Kern hatte trotz allem keinen Schaden genommen, sondern sich die Kraft zur Selbstheilung bewahrt.
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Vielleicht weil sie, bzw. ihre Psyche es verstand, im rechten Moment zuzuschnappen wie ein Krokodil (wie der Krokodilgott Sobek vielleicht!?) und eine gute, heilsame Gelegenheit zu erkennen und zu schnappen.
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Im Hintergrund, oben auf dem Berg, hinter der Kapelle, sieht man den „Drachenfels“.
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Vielleicht auch das kein Zufall, daß der Drachenfels (und Krokodile könnte man im weiteren Sinne durchaus als „Drachen“ bezeichnen) den Hintergrund zum frommen Kapellchen darstellt.
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Überleben und dann sogar wieder glücklich leben, heißt in der Lage sein, Gelegenheiten zu ergreifen – und wenn keine oder kaum Umstände da sind, die man als „Gelegenheit“ bezeichnen könnte, sich welche erschaffen.
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Besonders gut geht das, wenn das Umfeld in dem man sich befindet. einem signalisiert, daß man willkommen ist. Oder wenn man es zumindest so wahrnimmt.
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Das wäre mein Tip zum Schluß: Achte auf Symbole und Zeichen, die Dir sagen „Hier bist Du richtig!“
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Bildnachweis: Foto von academic.ru
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