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Kunsttherapie

Welche Rolle spielt Bildung des Therapeuten für „Hochsensible“?
Oft hört man, es käme auf die „Fühlfähigkeit“ des Therapeuten an. Auf Empathie. Auf die Fähigkeit, mitfühlen zu können.
Ja, das stimmt.
Jedoch geht es nicht nur alleine um das Nachfühlen können von Emotionen und um das Respektieren des Menschlichen im anderen.
Mit „Akzeptanz des Menschlichen“ ist in diesem Gedankenzusammenhang oftmals gemeint, die „Besonderheiten“ bzw. (vermeintliche) „Fehler“, das anders als andere sein, zu akzeptieren.
Bilder die damit einhergehen, wenn man sich diese „Akzeptanz des Menschlichen“ im anderen vorstellt sind oftmals mit (vermeintlicher) „Schwäche“ verbunden: Der Klient hat vielleicht ein Suchtproblem, trinkt, um Emotionen zu verarbeiten. Oder er hat ein Aggressionsproblem, wird gewalttätig, weil er nie anders gelernt hat, mit Situationen umzugehen, in denen etwas anders läuft als erwartet. Oder ist autistisch veranlagt, bekommt in Situationen die nicht einem bestimmtem Schema folgen, das er sich vorab vorstellt, Asthma, oder beginnt mit den Händen seltsam herumzufuchteln um überschüssigen Stress „abzuarbeiten“ – das Herumfuchteln folgt dabei allerdings nicht allgemein geläufiger Gestik sondern ist ein ihm eigenartiges – und ruft Verwunderung hervor bei anderen.
Das sind oft die, politisch nicht korrekten Bilder, die Menschen im Kopf haben, wenn von „Akzeptanz des (allzu) Menschlichen“ gesprochen wird.
Bildung kann dabei jedoch auch eine Rolle spielen! Bzw. das Fehlen derselben. Und es ist wichtig, gerade für Menschen / Klienten denen gesagt wird „sie sind zu empfindlich“, „zu sensibel“, was ja letzendlich nichts anderes heißt, als „mit Ihrer Wahrnehmung stimmt etwas nicht“, daß solche Klienten, BEVOR sie ein solches Urteil eines anderen (eines Coaches oder vielleicht sogar eines Therapeuten) annehmen, sich erkundigen welchen Bildungshintergrund der Coach hat und auf welcher Grundlage der „Experte“ zu dem Schluß gekommen ist, daß mit der Wahrnehmung des Klienten etwas nicht stimme.
Warum, auf der Grundlage welcher Fakten kommt denn der Experte zu dem Schluß, der Klient sei „zu sensibel“?
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Eine wahre Geschichte, die sich einmal in einem Coaching zugetragen hat:
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Das Beispiel: Synästhesie
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Synästhetiker sind Menschen, die „gleichzeitig“ beim Registrieren eines Reizes mehrere Dimensionen dieses einen Reizes = gleichzeitig = wahrnehmen.
Also, jemand liest die Zahl 1 zum Beispiel und hört gleichzeitig einen bestimmten Ton, oder sieht gleichzeitig eine Farbe. Oder er hört Musik und sieht dabei vor seinem geistigen Auge ein wahres Farbenmehr aus changierenden Tönen.
Daß jemand das kann, kann mit seinem Bildungshintergrund bzw. seiner Kultur zusammenhängen.
Bei griechisch (altgriechisch) sind den Zeichen, die als „Buchstaben“ einen Laut „darstellen“ zum einen Zahlenwerte zugeordnet und zum anderen repräsentieren die Buchstaben das „Geräusch“ bzw. den „Ton“ den man macht, wenn man den Buchstaben oder ein Wort, das diesen enthält, ausspricht. Na und dann gehört noch die Form des aufgeschriebenen Buchstabens dazu.
Jemand der sich also intensiv mit dieser Sprachebeschäftigt hat, wird, wenn er Worte liest, spricht oder hört gleichzeitig bestimmet Zahlenwerte „vor dem inneren Auge“ oder „im Hinterkopf“ wahrnehmen – einfach weil das Bestandteil dieser Sprache ist. Es ist einfach so.
Ein ähnliches Phänomen ist z.B. Finnisch mit seiner Vielzahl an grammatikalischen Fällen oder auch Latein, wodurch sich für jemand, der diese Sprachen kann, beim Lesen oder Hören einer anderen Sprache, die weniger fein abgestuft ist, was Grammatik betrifft, viele Fragen stellen wird. Vieles wird ihm wischiwaschi vorkommen – ungenau und er wird Fragen haben, wie denn nun dieses oder jenes gemeint ist.
Niemand käme auf die Idee einen auf diese Art gebildeten Menschen als psychisch krank zu labeln.
Bei Synästhesie hingegen wurde genau das gemacht.
Eine wahre Geschichte:
Einem Klient, der altgriechisch und Latein konnte, und nach einem Coaching auf die Frage, wie es ihm gehe antwortete, daß er in letzter Zeit wieder synaesthetische Wahrnehmungen hatte, wurde von seinem Coach mitgeteilt, daß das aber gar nicht gut sei. Das sei problematisch, da eine „Verklebung der Sinneskanäle“ vorläge.
Der Klient hatte aufgrund eines Traumas Teile seiner Erinnerung verloren – ihm war zwar klar, daß er diese Sprachen studiert hatte und theoretisch wußte er von der Mehrdeutigkeit der Buchstaben (Zahl, Geräusch/Ton, aufgeschriebene Form) und er besaß auch seine alten Tagebuchaufzeichnungen und Gedichte, die er in seiner Jugend geschrieben hatte, aber was er nicht mehr besaß, war der aktive Zugang zu der Fähigkeit der Synästhesie – diese hatte er nach dem traumatischen Erlebnis leider verloren. Seine Fähigkeit vielfältig, fein nuanciert wahrzunehmen, war ihm abhandengekommen.
Das Coaching, das auf emotionaler Ebene sehr erfolgreich war und genau das „tat“, was es tun sollte, nämlich seine Erinnerungsfähigkeit aktivieren, wieder einen Zugang schaffen zu seiner ursprünglichen, feinen Wahrnehmung, führte für diesen sehr gebildeten Klienten dazu, daß er auf einmal wieder synaesthetisch wahrnehmen konnte. Ein großer Erfolg!
Ein Erfolg, der von seinem Coach jedoch nicht als solcher erkannt und eingeordnet wurde.
Der Coach wußte nicht um den Bildungshintergrund seines Klienten und sprach selbst außer seiner Muttersprache nur etwas Business-Englisch und dies auch eher schlecht als recht.
Außerdem war dieser Coach kein Psychologe, hatte nicht Psychologie studiert, sondern hatte sich – durchaus erfolgreich - als Coach selbständig gemacht.
Das Bemühen und ein gutes Herz, seinen Klienten zu helfen war ja durchaus auch vorhanden.
Einfühlsamkeit und die notwendige Zartheit und Liebe, um mit Traumatisierten zu arbeiten, war ja auch da – die paar wenigen Sitzungen in diesem Fall waren ja erfolgreich.
Der Klient erlangte langsam seine alte, diversifizierte, bunte, vielfältige Wahrnehmungsfähigkeit wieder.
Nur, daß das von diesem Coach nicht als Erfolg gewertet wurde – weil dieser Coach zu ungebildet war, um darauf zu kommen, daß es im Zusammenhang und mit dem Bildungshintergrund dieses speziellen Klienten eben kein „Problem“ darstellte, derart viele Dimensionen gleichzeitig wahrnehmen zu können, sondern eben ein absoluter therapeutischer Erfolg war!
Der Klient kam in tiefe Selbstzweifel nachdem er hörte synaesthetische Wahrnehmung sei problematisch.
Sein Erinnerungsvermögen bestand noch nicht wieder vollständig. Die synaesthetische Wahrnehmung „funktionierte“ zwar in Situationen, in denen er besonders glücklich und entspannt war, teilweise wieder – aber zur Erinnerung daran, wie vollumfänglich seine Wahrnehmung einmal gewesen war, hatte er noch keinen richtigen Zugang und auch zu dem Bewußtsein warum er so viel mehr als viele andere wahrnahm hatte er noch keinen wirklichen Zugang in dem Sinne, daß das Bewußtsein so stark gewesen wäre, daß er es wirkungsvoll, wirkmächtig hätte einsetzen können.
Wirkungsvoll einsetzten zum Beispiel in einer Antwort, in der er dem Coach erläutert hätte, das alles gut ist, daß es richtig ist, daß die synaesthetische Wahrnehmung (auch) mit seinem Bildungshintergrund zusammen hängt. Daß seine Wahrnehmung vor dem schrecklichen Erlebnis auch so war, und daß das einfach seine Sicht auf die Welt ist.
All das konnte er nicht entgegenen.
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Statt dessen wurde er ängstlich und ließ sich von seinem Coach einreden, daß die Fähigkeit zur Synästhesie ein äußerst bedenkliches Problem darstelle.
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Da er anstatt sich auf eigene Erinnerungen verlassen zu können, denn auf die war ja der vollumfängliche Zugang noch nicht wieder hergestellt, die Aussagen dieses Coaches, ersatzweise verwendete („integrierte“), daher integrierte dieser hochgebildete und zu absolut feinsinniger, fein abgestufter Wahrnehmung fähige Mensch nun den Glaubenssatz „mit meiner Wahrnehmung stimmt etwas nicht“, wodurch ein Wesensanteil – nämlich der Teil, der danach strebte endlich wieder ganz gesund zu werden und alles wahrzunehmen, was er eben gewohnt war, wahrzunehmen, von nun an „bekämpft“ wurde, von einem neuen „Glaubenssatz“, den er von diesem Coach übernahm:
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Nämlich, daß synaesthetische Wahrnehmung ein Problem sei.
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Das kostetet diesen feinfühligen, liebenswerten Menschen mehrere Jahre, weil es ihn in eine innere Zerrissenheit stürtzte, die gar nichts mit seinem eigenen, ursprünglichen Trauma zu tun hatte sondern ein leider „falscher“ Glaubenssatz war, den er übernahm.
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"Falsch" für ihn mit seinem Hintergrund, seiner Geschichte.
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Durchaus richtig für den Coach, von dem dieser Glaubenssatz stammte.
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Was kann man als Klient hieraus lernen?
Der Bildungshintergrund des Coachs / Therapeuten kann durchaus eine Rolle spielen. Auch einem Akademiker, der Psychologie studiert hat, hätte dieser Fehler des Coaches unterlaufen können: Es kann Sinn machen, sich jemand zu suchen, der einen ähnlichen kulturellen, sprachlichen Hintergrund hat, wie man selbst.
Es geht nicht nur um „Fühlfähigkeit“ und darum, „ob die Chemie stimmt“. – Ein Coach, der eventuell das notwendige Wissen gehabt hätte, dem Klienten jedoch weniger sympathisch gewesen wäre, hätte ihm in diesem konkreten Beispiel vielleicht sogar besser weiterhelfen können.
Wenn man Hilfe zur Selbsthilfe betreibt und „Bibliotherapie“ macht: Nicht nur zum Thema „Psychologie“ lesen, sondern breit gefächert lesen: Sich die Möglichkeit mehrdimensionalen, relationalen Lernens geben, indem man sich intuitiv von Thema zu Thema bewegt und dabei ganz bewußt immer wieder über den Tellerrand schaut. =)
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Neugierig sein und bleiben – auf alles Mögliche und auf das Unmögliche ganz besonders.
Denn diese Möglichkeiten und Unmöglichkeiten führt man dann zusammen:
„syn“ der erste Teil des Wortes „Synästhesie“ bedeutet „zusammen (sein)“.
„ästhesie“ kommt von „Ästhetik“ – was so viel bedeutet wie „das Schöne“ (Harmonische).
„Zusammen sein mit dem Schönen“: Syn-ästhesie.
Vielleicht möchte man das in dem Zusammenhang ja auch so verstehen, daß man auf seiner Suche oder Reise intuitiv darauf achten möchte mit den „Dingen“ (Themen) „zusammen zu sein“ die für einen „schön“ sind.
Daß man sich von dem einen oder anderen Thema intuitiv angezogen fühlt, hat einen Grund – auch wenn er unbewußt sein mag.
Wichtig ist, daß man „syn“ ist, daß man zusammen ist, mit dem, was für einen gut ist. Synästhesie eben.
Wie man auf Themen kommt mit denen man syn ist? :-)
Eine Möglichkeit ist es, in einer guten Bibilothek zu stöbern. Zum Beispiel in der Bibliothek von Heinrich Friedrich von Diez (1751 – 1817). Schillernde Figur der Spätaufklärung mit Faible für Orientalistik.
Wie man ohne Zeitreisemaschine und ohne die gesellschaftlichen Verbindungen in diese Bibliothek hinein kommt?
Die Werke stehen ausleihbar in der Berliner Staatsbibliothek, Unter den Linden. Einen Bibliotheksausweis kann man kostenfrei erhalten. Man muß dazu nicht einmal Student sein. Jeder kann so einen Ausweis beantragen.
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Bildnachweis:
Heinrich Friedrich von Diez, Portrait von 1791, unbekannter Maler
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Überarbeitung, unbekannter Künstler, 2016 in Privatbesitz
Vierfarbdruck, mit gestanzten Goldsternen in Anspielung auf Gagea bohemica, Syn.: Gagea saxatilis (sog. Böhmen Gelbstern), welcher am besten gedeiht auf Porphyr.
Vermutlich Anspielung auf eine altes Pergament mit Porphyry Dendrogrammen aus dem 16./17. Jh von Tobias Moschides aus der Bibliothek Diez.
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